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Medikamentöse Schmerztherapie bei Nervenschmerzen

Jürg Schliessbach

28. Okt. 2024

Bei Nervenschmerzen ist die medikamentöse Schmerzbehandlung oft eine wichtige Komponente der Therapie. Hier kommen oft andere Wirkstoffklassen zur Anwendung, als bei akuten Schmerzen nach Verletzung oder Operationen. Viele dieser Wirkstoffe gehören in die Gruppen der Antidepressiva oder Antiepileptika.

Therapien

Was sind neuropathische Schmerzen?

Nervenschmerzen entstehen, wenn Nervenzellen aufgrund einer Schädigung oder Irritation nicht korrekt arbeiten und spontan Signale generieren, welche wir als Schmerz oder Missempfindung wahrnehmen. Solche Schmerzen werden oft als brennend oder elektrisierend,  einschiessend, stechend, unvorhersehbar auftretend beschrieben. Nervenschmerzen gehören nebst Rücken- und Kopfschmerzen zu den häufigsten chronischen Schmerzproblemen.

Diese sogenannten «neuropathischen Schmerzen» fühlen sich oft anders an, als die Schmerzen, die man beispielsweise von einer Zerrung oder Verstauchung kennt. Sie können durch Unfälle, Operationen, Amputationen, einen langjährigen Diabetes mellitus, eine Gürtelrose oder Erkrankungen des Nervensystems bedingt sein (z.B. Multiple Sklerose). Eine häufige Ursache kann auch eine Nerveneinklemmung, z.B. durch Bandscheibenvorfall, sein. 

Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen existieren verschiedene therapeutische Optionen, wobei der medikamentösen Behandlung eine grosse Rolle zukommt. Klassische Schmerzmedikamente (Paracetamol, Entzündungshemmer) helfen oft nur bedingt. Da die Schmerzursache nicht in einem Muskel, Knochen oder Gelenk liegt, sondern direkt beim geschädigten/irritieren Nerv, kommen andere Wirkstoffe zum Einsatz. Diese gehören meist zur Gruppe der Antidepressiva oder Anti-Epileptika, da diese Substanzen gezielter am Nervensystem angreifen, als klassische Schmerzmittel dies tun.

Zu Beginn einer Behandlung

Eine gezielte medikamentöse Behandlung von Nervenschmerzen wird nur in Betracht gezogen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass ein neuropathischer Schmerz vorliegt. Zu Beginn werden der zu erwartende Nutzen der Therapie und auch die möglichen Nebenwirkungen diskutiert.

Bei der Auswahl eines bestimmten Medikamentes spielt das vorliegende Schmerzproblem, aber auch die übrige medizinische Situation des Patienten eine wichtige Rolle.

"Off-Label" Behandlungen

Man spricht von «off-label-Behandlung», wenn ein Medikament zur Behandlung eines Zustands eingesetzt wird, für das es keine offizielle Zulassung besitzt. Gerade bei neuropathischen Schmerzen haben sich viele Medikamente als wirksam erwiesen, die ursprünglich für einen anderen Zweck zugelassen wurden. Insbesondere sind dies Medikamente gegen Depressionen oder Epilepsie. Erst die nach der Zulassung gemachten Erfahrungen haben gezeigt, dass diese Wirkstoffe auch gegen neuropathische Schmerzen wirksam sein können. Auch wenn diese Wirksamkeit mittlerweile klinisch bestätigt wurde, muss die Zulassung zur Behandlung neuropathischer Schmerzen nicht zwingend gegeben sein. Daher werden einige dieser Medikamente heute – weltweit! – «off label» zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt.

Folgende Medikamente werden in der Schmerzmedizin häufig  zur Behandlung neuropathischer Schmerzen verwendet (Auflistung ist nicht abschliessend):

  • Trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Trimipramin)
  • Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Mirtazapin, Duloxetin,  Venlafaxin)
  • Antiepileptika (Pregabalin, Gabapentin, Topiramat, Carbamazepin, Oxcarbazepin)

Ermitteln der korrekten Dosis

Bei neuropathischen Schmerzen wird üblicherweise mit einer niedrigen Dosis begonnen, die im weiteren Verlauf schrittweise gesteigert wird. Ziel ist es, die optimale Dosis mit dem maximal möglichen Effekt auf das Nervenschmerz-Problem bei minimalen Nebenwirkungen zu ermitteln.

Manchmal ist die geplante Dosissteigerung nicht möglich, wenn die Nebenwirkungen des Medikamentes zu stark sind. In diesem Fall muss die Behandlungsstrategie überdacht werden und ggf. ein Wechsel auf ein anderes Medikament diskutiert werden.

Ab wann ist eine Schmerzreduktion zu erwarten?

Die medikamentöse Behandlung neuropathischer Schmerzen benötigt meistens einige Zeit, bis die erwünschte Wirkung eintritt. Manchmal braucht es einige Wochen, bis der schmerzreduzierende Effekt eintritt.

In diesem Zusammenhang gilt es auch zu bedenken, dass jeder Mensch anders ist. Die Reaktionen auf eine bestimmte medikamentöse Behandlung fallen daher unterschiedlich aus. Bei einigen Patienten hilft die anti-neuropathische Medikation bereits ab dem ersten Tag, bei anderen hingegen ist mehr Geduld notwendig.

Der i.v.-Lokalanästhetika-Test als Wegweiser

Falls Unsicherheit darüber besteht ob eine medikamentöse anti-neuropathische Therapie versucht, bzw. weitergeführt werden soll, kann ein ambulant durchgeführter intravenöser Lokalanästhetika-Test hilfreich sein. Durch die protokollierte intravenöse Gabe des Lokalanästhetikums Lidocain lässt sich feststellen, ob ein Schmerzleiden wirkungsvoll durch gewisse anti-neuropathisch wirksame Medikamente behandelt werden kann oder nicht.

Wenn die Medikamente nicht nützen?

Wenn die Nervenschmerzen trotz medikamentöser Therapie unverändert vorhanden sind oder wenn Nebenwirkungen eine Therapie unmöglich machen, muss die Behandlungsstrategie überdacht werden und ggf. ein Wechsel auf ein anderes Medikament, evtl. auch interventionelle Massnahmen, diskutiert werden.

Autofahren und Bedienen von Maschinen

Während der ersten 1 - 3 Wochen einer Therapie, in der Einstellungsphase, bei einer Dosiserhöhung oder beim Wechsel auf ein anderes anti-neuropathisches Medikament, sollte auf das Autofahren bzw. das Bedienen von Maschinen verzichtet werden. Während dieser Zeit sind Nebenwirkungen häufig, welche die Reaktionsfähigkeit einschränken.

Während einer Therapie mit anti-neuropathischen Medikamenten sollte Alkohol nur mit Vorsicht genossen werden. Alkohol schränkt das Reaktionsvermögen zusätzlich ein, sodass nach Alkoholgenuss auf das Autofahren verzichtet werden sollte.

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